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Die Alte gibt nicht auf – Eine Erzählung von Volker Buchloh

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Der Raesfelder Autor Volker Buchloh  schreibt nicht nur Kriminalromane (Heimatreport berichtete), sondern auch Kurzgeschichten.

In mehreren Folgen gibt es hier auf Heimatreport nun exclusive  die Kurzgeschichte
“Die Alte gibt nicht auf” ©
Viel Spaß beim Lesen!

1

Der Scheibenwischer hakte immer dann, wenn sein Gummi der Einfassung der Windschutzscheibe zu nahe kam. Aber die Fahrerin bemerkte dies nicht. Sie fuhr ungern bei einem solchen Wetter. So konzentrierte sie sich voll darauf, was die Scheinwerfer ihres Wagens sichtbar machten. Nach einiger Fahrzeit schloss sie zu einem Lkw auf, dessen Fahrer wohl noch mehr Angst verspüren musste als sie selbst, denn das Fahrzeug vor ihr bewegte sich noch langsamer als ihres. Aber sie traute sich nicht den Wagen zu überholen. Nicht bei diesem Wetter und dieser Dunkelheit. Die Regentropfen wanderten die Scheibe aufwärts, bis der Scheibenwischer sie zur Seite putzte.

Regentropfen
Die Fahrerin war eine alte Dame, dessen Alter nicht bekannt ist, weil man Damen über Fünfzig nicht mehr nach ihrem Alter fragt. Aber die schlohweißen Haare verrieten doch das ein oder andere. Man hatte sie auf den Namen Klara getauft, ein Name den sie zutreffend fand. Im Schein der Armaturenbeleuchtung wurde ein geblümtes Kleid sichtbar, über dem sie trotz der eingeschalteten Heizung eine Strickjacke trug, die oberhalb ihrer Brust zugeknöpft war. Nur mit einem Teil ihres Körpers war sie nicht zufrieden. Um die Straße vor ihrem Auto überblicken zu können musste sie ein Kissen auf dem Fahrersitz legen. Die modernen Pkws hatten eine Ausgleichsmechanik. Ihr alter Focus der ersten Generation hatte sie noch nicht.

Eigentlich wollte sie um diese Zeit schon längst zu Hause in Dorsten Hardt sein, bei diesem Regenwetter vor allem. Aber ihre Familie hatte sie daran gehindert. Na ja, Familie war nicht das zutreffende Wort. Es waren ihre beiden Enkelkinder, die sie im Königshardt besucht hatte. Ihren bittenden Augen, noch ein paar Minuten länger zu bleiben, hatte sie nichts entgegensetzen können. Bekanntlich bedeuten einige Minuten bei Kindern übersetzt meist eine Stunde, und so war es heute auch gewesen. Marina war die älteste von den beiden Kindern und schon acht Jahre alt. Die Schule hatte sie zu einem selbstständigen Wesen gemacht. Sie wusste was sie wollte und konnte nur mit Worten überzeugt werden. Wetter und Dunkelheit waren keine Argumente die ihr einleuchteten, wenn sie mit der Großmutter spielten wollte. Tina, noch keine fünf Jahre alt, war ein verspieltes kleines Ding. Wenn Oma Klara etwas von ihr wollte, dann tat sie mitunter genau das Gegenteil von dem, was sie eben noch gewollt hatte.

_Bernd Kasper_pixelio.de

Die Bremslichter des Vordermanns brachten die Frau in die Gegenwart zurück. Sie hielt den Abstand bei und folgte dem Fahrzeug in die Kurve. Dem verwaschenen Aufdruck auf der zitternden Plane zu folgen, konnte man auf das hohe Alter des Lastkraftwagens schließen. Ob er so alt war wie ihr Focus? Dieser war von 2000 und hatte – sie schielte auf das Tachometer – fast hundertfünfzigtausend Kilometer auf dem Buckel. Sie versuchte die Buchstabenfolge auf der flatternden Plane zu enträtseln, aber Wind und Sonne hatten sie unlesbar gemacht. Gewaltig rüttelte der Wind an dem Segeltuch. Nur dank der Befestigungsösen folgte es nicht dem Fahrwind wie eine Fahne. Sie hatte die Grafenmühle gerade passiert. Da brachte eine Windböe den Vordermann in Schwierigkeiten. Sie vergrößerte den Abstand.

Da sie sich entschlossen hatte nicht zu überholen, begannen ihre Gedanken wieder zu ihrer Familie zu wandern. So bemerkte sie den schwarzen Schatten erst als er schon ein weites Stück unter der Plane hervorgekrochen war. Er hatte eine Stelle gewählt, die wohl nicht von einer Öse gesichert wurde. Sie konnte sich nicht erklären, was da ablief und glaubte mehr an ein Spiel von Licht und Schatten, welche die wandernden Scheinwerfer ihres Focus bei der kurvenreichen Strecke auf die Rückfront projizierten. Auch als zwei strampelnde Beine sichtbar wurden, glaubte sie noch an eine Sinnestäuschung. Gaukelten ihre Augen ihr etwas vor was sie fälschlicherweise für Beine hielt, und in Wirklichkeit etwas anderes war? Aber ihre Augen wurden nicht getäuscht. Es waren Beine, zweifelsfrei Beine, und sie mussten zu einem Menschen gehören.

Das wollte sie aber nun genauer wissen. Zunächst tippte sie auf einen Scherz, einen Scherz dessen Sinn sie im Moment nicht begriff. Aber die Füße suchten sichtbar nach einem Halt. Sollte diese Erklärung zutreffen, – wer klettert bei diesem Wetter und während der Fahrt aus diese Weise von einem Lkw herunter? – dann war Vorsicht geboten. Es galt den Abstand zum Vordermann zu verlängern. Sie verringerte den Druck auf das Gaspedal, der Focus fiel zurück. Aber dies war auch keine Lösung, denn durch den größeren Abstand sah sie schlechter, was auf dem Laster geschah.

So beschleunigte sie ihren Wagen behutsam. Die erneute Annäherung beseitigte ihre Zweifel. Hatte sie nur Konturen und Schatten gesehen, so erschien auf dem Rücken der Person eine unleserliche farbige Inschrift. Die suchenden Bewegungen des Menschen hörten auf, er schien Halt gefunden zu haben. Eine Zeitlang tat sich nichts. Der Verlauf der Straße zwang wohl den Fahrer des Brummis zu einer Korrektur seiner Fahrweise. Auf jeden Fall schwankte das Fahrzeug hin und her. In den Schatten kam auf einmal Bewegung. Die Beine strampelten verzweifelt. Hektisch suchten sie erneut nach einem Halt. Ob wohl beide Kraftfahrzeuge eine Geschwindigkeit von gut siebzig Stundenkilometern hatten, versuchten die Beine bei dieser Geschwindigkeit mitzuhalten. Es war abzusehen, dass dies nicht gut gehen konnte. Klara zog den Wagen in die Mitte der Straße, geradezu rechtzeitig um den fallenden Körper nicht zu berühren.

Spontan wollte sie bremsen. Aber das Gefühl der Hilfsbereitschaft wurde sofort durch den Instinkt der Angst verdrängt. Bei diesem Wetter und einer solchen Dunkelheit? Nein, das kam nicht infrage. Wer weiß, wo der Körper hingerollt war? Sie hatte keine Lampe dabei. Und dann den schützenden Kokon aus Blech aufzugeben? Eher würde sie sterben……..

Freuen Sie sich auf die Fortsetzung!

Foto: Bremslicht-Bernd Kasper_pixelio.de

Dieser Artikel Die Alte gibt nicht auf – Eine Erzählung von Volker Buchloh wurde erstmalig veröffentlicht auf Heimatreport.


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